Du trittst in den Morgen

mit dem Bleisaum am Zahnfleisch
nach vier Stunden Schlaf ohne Schlaf
in der Coverversion eines Traumes
im Original aus den Achtzigern.

Dahinstellen und ausnüchtern
es sind noch Satzenden übrig
und ein halber Sack Erde und Salz.
Die Beweisaufnahme ist weiter im Gange

du stolperst ins Licht, längst nicht raus aus der Sache
fängst dir was ein, wirfst es fort
nimmst dir frei und gibst dich gefangen.
Was muss passieren, damit was passiert.

Am Abend zählst du deine Finger
drückst sie ins Schwarze, machst einen Abdruck
ins Album, legst dich zu den Akten
zu den zirpenden Grillen, die du niemals siehst.

(2014)

 

 

 

 

 

 


zu wenig, zu spät

die stare, die spatzen, die raben
in wechselnden rollen, hoch in der birke
auf ihrem obersten ast, wie sie singen
und warten, mir bedeutung anbieten
ein rätsel für mich, ich steh am geländer
mit klammen fingern und pochendem schädel

es geschieht immer wieder
das orakel von elstern und tauben
in jeder saison mit anderer farbe. es gibt
nichts zu behalten, mit etwas glück nur
eine tiefblaue feder, die der eichelhäher verlor
als er den ausguck verließ
und voller spott etwas rief, das
ich nicht verstand

(2014)


Noch einmal und wieder

Wie in einem Spiel, nachdem man alle Leben verlor
zurück zum Moment, als noch sämtliche Waffen
zur Auswahl standen, die leichten und schweren
dazu Panzer und Schilde, die Rüstung
für Rücken und Brust. Noch einmal von vorn
noch einmal auf und davon mit allen Optionen
oder doch nicht, denn man stirbt schließlich immer
an der gleichen Stelle, bei jedem Versuch
und weiß es ja vorher. Alle Herzen verbraucht.

Noch einmal von vorn, und erneut
mit vollen Gläsern beginnen und ganz weißen Zähnen
Botschaften entziffern bevor sie verbrennen. Wie war das
als man das erste Mal die Verstecke entdeckte
man plündert sie wieder, steckt Stift ein und Messer
und Flasche und Schlüssel, man wird alles brauchen
und alles hergeben müssen.

Noch einmal zurück an den Ort, wo zuletzt
der Spielstand gespeichert war, ein Portal
ein Turm, eine Wiese. Der Gegner, der Freund
sie sind beide noch da, erst wenig
nahm man dem anderen weg, die Schläge
werden vertraut sein, die Tricks. Man wartet
wie immer, dass jemand kommt mit einer Fahne
und sagt: du kannst noch gewinnen.

(2014)


Gedicht Anfang März

Auf der Suche nach dem verlorenen Schlaf
zwischen den Bäumen, die du gestern gezählt hast
legst dein Ohr an die Borke, hörst auf das Rauschen
einer grünen Verschwörung, Erlen und Ulmen
haben die Plätze getauscht.

Wirfst Reisig auf wie ein hungriger Vogel
keine Ruhe, sie zeigt sich auch nicht
unter den Blättern von gestern, Feuerwanzen
bewachen das Totholz. Zu deinen Füßen
wühlen Mäusearmeen, im Untergrund

bauen Maulwürfe Städte. Du musst hier fort
nichts in der Hand als verwitterte Flügel
von Ahornsamen, die feinen Skelette
sie tragen nichts mehr und du
legst den Kopf auf die Lichtung, bleibst wach.

(2014)

 

 

 

 

 

 


komm einfach vorbei und sag

komm einfach vorbei und sag dass es gut ist
oder ruf an und sag dass es gut ist
schick mir ein bild das mir sagt dass es gut ist
oder sags dem kurier der mir sagt dass es gut ist
oder lass gut sein
lass sein
lass

(2014)


Abkehr, Ballett

Wir müssen das üben
so lange, bis keiner mehr weiß
wer von uns ging und wer blieb

Wir kennen die Schritte
die Hebefiguren, die Kreisel
die Gesten für Komma und Punkt

Und nun der Moment, der vorsieht
dass du mir die Hand bietest, bevor
du dich umdrehst, brüsk und voll Anmut

Schulterblätter wie Flügel, jedes Mal
bin ich erschrocken, und wie ich immer
vergesse, deine Küsse schmeckten nach Milch

Wir müssen das üben
so lange, bis alles ausgetrunken
bis alles ausgetanzt ist

(2013)

 

 

 

 

 

 


Gezählt, sortiert

Ein Büschel Seetang
wie ein Nest, um zu bergen
was angespült wurde und
sonst längst wieder fort wäre.

Die Knochen und die Zähnchen
der letzten Woche.
Muschelbruch und Kiesel
mit tastbaren Narben. Ein Schlüssel
auf der Suche nach einer Tür.
Ein grüner Scherben Glas, ein durchsichtiges Fischlein.
Ein geborstenes Feuerzeug.
Noch ein geborstenes Feuerzeug.
Ein Stück Garn, an beiden Enden glatt abgeschnitten.
Ein Buchenblatt.
Kein Bernstein.
Eine Nussschale mit einem Universum darin.

Das war aber auch schon alles.

(2013)


Das passende Licht fällt gelb

von der Seite ein und legt
die wichtigen Flächen fest
für eine Fotografie
die jeder Spaziergänger vornimmt

Im verjährten Gras
liegt der Schatten des Ziegelturmes
den man abgerissen hat

Möwen sind da, sie üben sich
an der Luft in der Kunst
langsamer Bewegung, ohne
lügen zu müssen

Später beginnen Menschen zu reden
in Zimmern
mit entkleideter Stimme

(1990)


Heillos

Nervös, nervös und dankeschön
für das Saxofon hinterrücks
die Kapelle unterm Dach
die mich so weiblich stimmt gegen dich
Hier ist mein Gastrecht, Schwester Unverhofft
es heißt, du wirst mir winken
wenn die Instrumente erst ausgeklungen
und weggesperrt sind (This is a lovesong
will das Piano beweisen), schließlich
schlichten Maximen den Zwist
von Maximen, für den Moment
tragen Hände aus, was vorlaut begann

(1991)


Wintersommer

Der Zeitverleiher stundet keinen Moment mehr
Der Geheimniskrämer versagt den Kredit
Unterwegs im Dazwischen, meine Schuhe voll Wasser
dem Beweisführer nach, bis zur nächsten Station

Gesundbeter bilden ein buntes Spalier
ergreifen Partei, rekrutieren die Silben
Ich kau Russisch Brot, verschlucke die Wörter
Die Ration einer Woche, verzehrt ohne Fragen

Der Sterndeuter streikt, der Himmel bleibt offen
Der Zeichensetzer verkauft mir ein Nein
Das Szenenbild wechselt, wenn ich nicht hinschau
Der Kulissenschieber verlacht all mein Schmiergeld